Die Journalismus-Studenten Christopher Stöhr und Georg Hölting interviewen Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff.
„Wir haben Defizite.“ Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff über die Herausforderungen im beginnenden 21. Jahrhundert
Die Journalismus-Studenten Christopher Stöhr und Georg Hölting hatten im Rahmen der Lehrredaktion Online nach der Landtagswahl den Wahlsieger Haseloff um ein kurzes Interview gebeten. Er sagte für einen späteren Zeitpunkt zu. Ende März 2022 war es soweit.
Stöhr: Guten Tag, Herr Dr. Haseloff, vielen Dank, dass Sie sich heute Zeit für uns nehmen. Sie selbst haben Physik studiert und sogar promoviert. Wie hat das Studium Ihr Leben geprägt? Wie war das für Sie?
Haseloff: Die Studienwahl ist natürlich eine der entscheidendsten im Leben. Sie ist aber immer auch in gewisser Weise davon abhängig, in welchem Gesamtrahmen und in welchem System man groß wird. Ich bin in der DDR groß geworden. Das war ein atheistischer Staat, der diktatorisch war. Ich bin Christ und in einer christlichen Familie groß geworden. Da war schon von Anfang an klar, dass wenn man ohne Jugendweihe zum Gymnasium will, man ein sehr, sehr gutes Zeugnis braucht. Und es war auch klar, dass nicht jeder Beruf in Frage kommt, wenn man seine eigene Weltanschauung, seinen eigenen Glauben behalten will. Mit dieser inneren Prägung war es dann so, dass, wenn man studiert, es nur etwas Naturwissenschaftlich-Technisches oder etwas Medizinisches sein kann. Das waren die einzigen ideologiefreien Räume, die damals im Gesamtangebot waren. Alles andere war in irgendeiner Weise ideologisch vom System des Kommunismus her geformt. Dass ich Physik und Naturwissenschaften sehr gerne mochte und darin auch gut war, war natürlich dann ein Glücksumstand.
Stöhr: Würden Sie auch heutzutage Physik studieren?
Haseloff: Also die Affinität wäre sicherlich geblieben. Erst mal, weil man ja weiß, wo man in der Schule gut war und wo man die Interessen hatte. Als gläubiger Mensch ist man auch immer in der Auseinandersetzung zwischen den Grundfragen des Lebens, im Bereich der Philosophie und der Theologie, aber eben auch in der Naturwissenschaft unterwegs. Das heißt die Fragen: Wo kommt alles her? Wo geht es hin? Was ist der Hintergrund? Was ist die Programmierung? Was läuft da eigentlich ab in diesem Kosmos? Seit 13,8 Milliarden Jahren, seit dem Urknall? Das sind Sachen, die existenziell sind. Die mich über diese Auseinandersetzung beeinflusst haben. Das würde heute wahrscheinlich genauso ablaufen. Trotzdem würde man in den Katalog der möglichen Studienfächer automatisch Sachen reinnehmen und auch neu bewerten, die man früher klar ausgeschlossen hat. Es war klar, wenn du Lehrer werden wolltest, dass du eine sehr starke Systemnähe brauchtest. Dadurch brach bei mir Lehrer weg. Heute würde man es wieder mit drin haben im Katalog. Aber in den vielen beruflichen Situationen, in denen ich schon gestanden habe – in der ersten Hälfte des Lebens als Physiker und diesem Zusammenhang auch als Umweltforscher und Atmosphären-Physiker und im zweiten Leben Kommunalpolitik, Bundesverwaltung, Arbeitsamt, Staatssekretär, Minister, Ministerpräsident – überall habe ich mit diesem Grundkanon des Vermittelten eine gewisse Denkstruktur und Systematik gefunden. Da wird ja immer gerne Angela Merkel als Beispiel mit gleichem Berufsabschluss angeführt. Wir sind auch im selben Jahr geboren. Da ist schon was dran, dass man anders an eine Aufgabe herangeht als zum Beispiel ein Jurist oder ein Politikwissenschaftler.
Hölting: Würden Sie heute vielleicht Theologie studieren?
Haseloff: Ich habe sogar einen kleinen theologischen Abschluss. Ich haben einen theologischen Studienfernkurs gemacht, noch zu DDR-Zeiten. Das war aus den alten Bundesländern heraus möglich über die Verbindung der Bistümer, sodass ich also auch einen theologischen Abschluss habe.
Stöhr: Sie haben ja schon erwähnt, dass es einige Unterschiede gab beim Studieren im Westen im Vergleich zur DDR. Was ist heute anders als früher in der DDR?
Haseloff: Das fing schon damit an, dass es natürlich eine grundsätzliche ideologische Durchdringung in allen Lebensphasen gab. Schon im Kindergarten ist die Beziehung zum Militär, zur Waffe, zum Panzer Bestandteil des pädagogischen Konzeptes gewesen. Das ging über die Zeit, wo die jungen Leute als Pioniere unterwegs waren oder dann hin zur Jugendweihe, die ich als gläubiger Katholik nicht mitgemacht habe. Mit einem evangelischen Freund waren wir da die Einzigen in der Klasse. Dann ist da eine andere fachlich Prägung. Heute zum Beispiel machen rund 35 bis 40 Prozent eines Jahrgangs Abitur. Zu unserer Zeit waren es 10 Prozent. Das heißt, du konntest auch in kürzerer Zeit wesentlich härteren Stoff durchziehen. Anders als es heute der Fall ist, wenn du 40 Prozent durch ein Abitur bringen willst, da musst du einfach auch bestimmte Sachen mal weicher spülen. Damit will ich das Abitur von heute nicht schlecht machen. Nur dass es die Möglichkeit gibt wesentliche Fächer abzuwählen, halte ich nach wie vor für einen Mangel unseres Bildungssystems.
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Das gesamte Interview finden Sie hier.
Foto: Noah Carstensen